ROLLENBILD

Ausstellung ROLLENBILD 22.8. - 30.9.2020

Kornspeicher, Freiburg/Elbe

 

„Die Rolle der persönlichen Begegnungen im digitalen Zeitalter“

Einführungsrede Jörn Freyenhagen, Journalist

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren !

 

Es war vor gut elf Jahren. Da entstand im idyllischen Wald von Gut Daudieck, hoch oben im Dachatelier von Christa Donatius, eine gewagte Idee: Wie wäre es, wenn ich mit einer Leinwand durch die Republik fahre, um Kolleginnen und Kollegen zu bitten, ein Kunstwerk für mich zu gestalten - auf einer Rolle, die eigentlich aus zwei Leinwänden besteht, aber zu einer zusammengefügt ist. Zunächst sind es ganz praktische Gründe, das Projekt ins Rollen zu bringen. Die Leinwand sollte transporttauglich sein, um sie im Auto zu verstauen, aber auch bequem genug, um sie von Akteur zu Akteur bringen zu können.

 

Ein Wagnis ist so ein Unternehmen allemal, weil man nie weiß, wie jemand reagiert, wenn ein fremder Mensch an der Haustür klingelt, mit einer Rolle in der Hand und dem Spruch auf den Lippen: „Mal mir ein Bild, ohne Honorar in einer überschaubaren Zeit, nur aus Freude und Idealismus, einzige Bedingung: Das Werk muss auf die Rolle passen, und bitte lasse soviel Platz, dass sich auch andere noch darauf verewigen können.“

 

Der Charme der Idee liegt natürlich auch im Reisen ! So wie Wissenschaftler mal raus aus ihrem Elfenbeinturm müssen, sollten bildende Künstler öfters mal raus aus ihrem Atelier ! Kreative brauchen die Inspiration und den Austausch wie die Luft zum Leben. Das fehlt vielen vor allem jetzt in Corona-Zeiten. Da verkümmert etwas in ihrem Schaffen, wenn sie zu lange im eigenen Saft schmoren. Der Perspektivwechsel ist berufs- und lebensnotwendig ! Wenn er sich dann noch mit einem Ortswechsel verbinden lässt, umso besser.

2009 beginnt die Suche in der Kunstwelt, wobei Tipps von Freunden helfen, geeignete Kandidaten zu finden. Ohne die Recherche im Internet geht es nicht. Man kann sich leicht vorstellen, wieviele Telefonate und e-mails erforderlich sind, um Kontakte anzubahnen, Verbindungen zu knüpfen, um die Treffen sowie das Hin und Her beim Transport des Rollenbildes zu organisieren.

 

In den meisten Fällen verläuft die Anfrage, ohne Entgelt am Projekt mitzuarbeiten, erfolgreich. Beginnen wir mit Kristof Meyer Nr. 2 (Schiene/Atelier/Personen), an dessen Spuren sich Christa buchstäblich heften muss. Nach einer kurzen Station in Stade bezieht er sein Atelier in Berlin-Wedding in einem fabrikähnlichen Gebäude zusammen mit anderen Künstlern. Nicht gerade gemütlich, aber atmosphärisch interessant. Dort stolpert man z.B. über das Modell eines Kurses für Aktmalerei. Gleich nebenan entsteht das Rollenbild mit wasserlöslichen Farben. Kristof Meyer lebt und arbeitet zwischendurch in Köln, macht eine Lehre als Koch in einem Bio-Restaurant im Allgäu und hat jetzt ein Atelier in Meschede/Sauerland.

 

Das Spektrum der Beteiligten reicht vom Kunststudenten über experimentell Tätige bis zu etablierten Malern, die Altersspanne geht von 25 bis 71 Jahre. Fast immer stellen sich die Akteure spontan ihrer Aufgabe. Sie wissen zum Teil nicht, auf was sie sich eingelassen haben oder lassen das einfach auf sich zukommen. Aber Christa Donatius lässt nicht locker, und eines Tages steht sie vor der Tür. Das ist der Moment, in dem die Initiatorin ihre Auserwählten zum ersten Mal persönlich trifft -  bei der Übergabe der Bildrolle.

 

Das nächste Bild (Erdkugel, Kind, Soldat) stammt von Patricia Valencia Nr. 3 Carstens, aufgewachsen in Argentinien, lebt und arbeitet sie heute in Hollern-Twielenfleth. Christa kennt sie durch ihre gesellschaftskritischen Bilder aus der südamerikanischen Heimat. Schon seit Jahrzehnten ist die Künstlerin mit ihrer

Familie im Alten Land zuhause. Missstände, die sie bewegen, greift sie in ihren Werken auf, so auch hier im Bild der Erdkugel, dem Kind und dem Soldaten. Emotionen, die in ihr stecken, müssen raus, finden ihren Weg in ausdrucksstarke Gesichter. Es sind stumme Stimmen und Herzen, die einfach nur schreien.

 

Zum Menschsein zählt die persönliche Begegnung. Das Gespräch ist die reinste, älteste Form, miteinander zu kommunizieren. Auch daraus entsteht Kunst. Im digitalen Zeitalter ist es nur etwas aus der Mode gekommen, das direkte Gespräch zu suchen und sich dabei in die Augen zu schauen. Man chattet, man mailt, man schreibt eine WhatsApp oder SMS, tauscht sich über Facebook aus. Spontane Reaktionen oder Emotionen, die sich von Angesicht zu Angesicht  ergeben, bleiben allerdings auf der Strecke. Man verliert sich aus den Augen, weil der Augenblick fehlt.

Selbst die Dinge wieder in die Hand zu nehmen, heißt ein Original zu schaffen, seinen eigenen Stil zu finden. Zurück zur persönlichen Begegnung, das heißt zurück zum Menschsein, zur Menschwerdung, und die Kunstwerke, die wir hier sehen, sind bleibende Dokumente lebendiger Begegnungen.

Das nächste Bild Nr. 4  (Frottage „Spitzkopf-Versammlung“) stammt von Michael Ackermann aus dem hessischen Wettenberg, für Christa auch kein Unbekannter, aber nun lernt sie ihn erstmals persönlich kennen, ist von seinem Atelierhaus sofort begeistert. Über und über ist es angefüllt mit Zeichnungen, Bildern, Materialien, Schnipseln und allerhand Morbidem. Ackermann, der sich selbst als Altkommunist bezeichnet, leitet 30 Jahre lang die Zeitschrift „Kommune“. Künstlerisch  bevorzugt er Zeichnungen mit Kohle, Blei, Pastell, Tusche, Öl- und Acrylmalerei, Collagen sowie Misch- und Handdrucktechniken – das ist eine ganze Palette, und daraus entstehen Bilder zum Chaos in Ballungsräumen, Zerstörung, lebensfeindlichen Bedingungen und mehr. Die Oberflächen lassen in seinen Bildern das Nichtsichtbare erahnen.

Eine besondere Atmosphäre und gute Gespräche sind in Wettenberg einen längeren Aufenthalt wert. Es gibt Ausflüge mit dem Gastgeber nach Marburg und Gießen sowie zu einem alten Fabrikgelände. Reizvolle Landschaften und alte Burgen hinterlassen bleibende Eindrücke, und immer wieder miteinander reden, das steht im Fokus.

Kommunizieren im digitalen Zeitalter heißt heutzutage oft: Schweigen. Der amerikanische Künstler Eric Pickersgrill hat Menschen fotografiert, die jeweils zu zweit an einem Tisch sitzen oder im Bett liegen, jeder beschäftigt sich mit seinem Handy oder Tablet. Die Personen sind zum Teil voneinander abgewandt. Bevor er auf den Auslöser der Kamera drückt, entfernt Pickersgrill die technischen Geräte aus den Händen der Protagonisten. So blickt der Betrachter eigentlich auf eine künstlerische Performance, die auf den feinen Unterschied zwischen Realität und Fiktion verweist. Oder man drückt es wie der Karikaturist Til Mette aus. Er zeichnet ein Paar, beide sind vertieft in ihre Handy-Nachrichten, bis der Mann die Frau fragt: „Wie haben wir uns früher eigentlich angeschwiegen ?“

Wir kommen zum fünften Bild (Menschen & Tiere). Es ist von Nils Peter. Bei Schnee und Kälte bringt Chista die Rolle zu ihm in die Kunsthochschule Braunschweig, wo Nils zu dieser Zeit noch studiert. Mit dem Stechen von Tatoos finanziert er zeitweise sein Studium, und in einem Tatoo-Studio findet seine erste Ausstellung statt zum Thema „große, behaarte Männer“. In Braunschweig schaut man sich gemeinsam die Arbeitsplätze der Studierenden, ihre Werke und die verwendeten Materialien an.

Als Christa ihr Projekt startet, ahnt sie wohl nicht, wie stark die neuen Medien unser Leben in Zukunft beeinflussen werden, dass inzwischen eine Gegenbewegung zur „Zuvielisation“ einsetzen würde. Das Unverfälschte, Echte wird im digitalen Zeitalter immer wichtiger. Wir sehnen uns heute mehr denn je nach Authentizität, übrigens auch, wenn wir uns in den sozialen Netzwerken bewegen und inszenieren. Wir suchen nach Halt und unserem wahren Selbst. Ob wir das allerdings im Homeoffice finden – das wage ich zu bezweifeln.

Das nächste Bild Nr. 6 (Doppelfelder Juni) ist ein Beitrag von Elisabeth Springer-Heinze aus Wiesbaden. Als die Rolle bei ihr eintrifft, bezieht sie gerade ein neues Atelier über einer Bäckerei. Platz genug für das Ausbreiten der Leinwand und zum Anschauen spontaner Zeichnungen. Die Künstlerin fährt zum Broterwerb auf dem Notarztwagen, ist auch Ärztin im Gefängnis, verdingt sich jedoch seit vielen Jahren in der Kunst. Ihr Schwerpunkt ist die Natur, was sie umsetzt in Papierarbeiten z.B. als Collage. Im Juni 2014 entsteht ihr Beitrag, geprägt von der Fußball-WM und anderen Ereignissen, die sie in Doppelfeldern unterschiedlicher Art zu einem Bild fügt.

Bei allem, was wir tun, geht es immer um Aufmerksamkeit und Anerkennung. Das sind die Grundpfeiler unserer Identität. Uns treibt die Suche nach Resonanz um. Jeder hat ein Bedürfnis nach Kontakten. Wir brauchen jemanden, der uns wahrnimmt, uns sieht. Durch den Blick des Anderen formt sich unser Selbstbewusstsein zum bewussten „Selbstsein“. Das ist authentisch.

Eva Mrazikova aus Usti nad Labem/Tschechien bildet mit ihrer Arbeit (Kranz auf gelbem Kreis) eine Ausnahme im Reigen der Akteure. Zum einen kommt sie als einzige nicht aus Deutschland, zum anderen wird ihr die Bildrolle von einer Kollegin aus Dresden gebracht und sie hat die Rolle auch wieder abgeholt. Evas Bild behandelt die Fragilität des Lebens, Verluste, Ängste und Abschied. Bezüge zum eigenen Dasein sind präsent, ihr Beitrag entsteht in einer der schwersten Phasen ihres Lebens. Der Kranz ist für sie ein Symbol der Unschuld als Zustand zwischen Zelebrieren und Trauern.

Susan Donath aus Dresden -  so heißt die Botin zwischen Sachsen und Tschechien – ist hier ebenfalls in der Ausstellung vertreten. Wir sehen sie auf  ihrem Plakat oder Poster, mit der Aufschrift: „selbständig, bezieht ALG 4, alleinerziehend.“ Als Susan in Buxtehude einen Vortrag anlässlich einer Ausstellung über Künstlerpaare hält, spricht Christa sie auf das Rollenbild an. Die Dresdnerin arbeitet zum Thema Tod und Vergänglichkeit, pflegt die Grabanlage in Usti – dadurch kennt sie Eva – , Susan befasst sich aber auch mit Gleichstellung, Gleichberechtigung und dem Thema „Frau in der Gesellschaft“.

Unser „wahres Selbst“ finden wir nur in Beziehungen. Die haben sich im Zuge der Digitalisierung aber grundlegend verändert. Corona hat diesen Trend noch verstärkt. Die Frankfurter Sozialpsychologin Vera King fragt zu Recht: „Wer erkennt mich, wenn der Andere in digitalisierten Beziehungen nicht mehr greifbar ist ? Wer bin ich, wenn der Blick dieses Anderen auf ein Selbst gerichtet ist, das nach den Regeln sozialer Netzwerke konstruiert wurde ?

Heute braucht man Follower. Das erzeugt Druck. Wem es nicht gelingt, die Aufmerksamkeit auf seine Profile zu lenken, fühlt sich gescheitert oder ausgegrenzt. Darum wächst das Bedürfnis, in der digitalen Welt Anerkennung zu finden. Ein Teufelskreis, der sich in einem Gefühl von Unzulänglichkeit ausdrückt. Schon werden Initiativen zur Erhaltung der mentalen Gesundheit für Jugendliche ins Leben gerufen. So startet die schwedische Modemarke Monki eine Kampagne, um ihre Kunden für die Folgen von Social Media zu sensibilisieren.

Unser Umgang mit der Natur ist das Thema des zehnten Bildes (Blumenmuster) von Anne Schmidt. In ihrem Atelier, das sie als Stipendium von der Stadt Essen mietet, fällt ein großes Tier auf, aber es liegen auch kleine Dinge überall herum wie z.B. winzige Menschenfiguren, klitzekleines Geschirr, Glitzersachen und viele Miniaturen. Studiert hat Anne in Dresden. Sie ist auch Bildhauerin, gestaltet v.a. Installationen zu den Themen Umwelt, Klima, Konsumverhalten. Auf dem Rollenbild taucht dieser Schwerpunkt ebenfalls auf, detailreich gezeichnet und aquarelliert.

Christa Donatius geht mit ihrem „Rollenbild“ einen konservativen, altmodischen Weg, der heutzutage aber wieder im Trend liegt. Sie nimmt persönlichen Kontakt auf, sucht das persönliche Gespräch, und was hat sie nicht alles erlebt auf ihren Reisen zu den Rollenbildnern ?  Natürlich ist so ein Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zuweilen auch schwierig, dann liebenswert, oft sehr intensiv, aber auch plötzlich wieder sehr einfühlsam. Doch diese Erlebnisse hätte Christa nicht gehabt, wenn sie die Rolle mit DHL verschickt hätte oder das Projekt am Computer online abgewickelt hätte, geschweige denn am 3D-Drucker ausgeworfen hätte. Die Farbe in den verschiedenen Ateliers zu riechen, die Wärme zu spüren und das Wesen der Menschen zu empfinden, das alles sind Eindrücke, die nur analog möglich sind, und die bleiben.

 

Wir kommen zum Bild Nr. 11 (Monolith) von Diana Hartung-Gräßer. Studium und Ausbildung hat sie u.a. in Paris absolviert. Diana ist gerade mit dem Umzug in ein neues Domizil beschäftigt, als die Rolle eintrifft. Christa  turnt über provisorische Wege vorbei an noch laufenden Baumaßnahmen. Ein halbes Jahr später folgt die Einladung zur Einweihung des Ateliers, in dem Seminare stattfinden in Kunst, Qi Gong und Musik. Zur Eröffnung gibt es Violinenklänge, kulinarische Köstlichkeiten und am Ende wird Dianas Beitrag zum Rollenbild präsentiert: Passend zu ihrer Arbeit und einem geliebten Reiseziel, der Bretagne, ist es ein Monolith in Mischtechnik.

 

Die mobile Leinwand bleibt manchmal monatelang bei den Künstlern. Christa bringt die Rolle fast immer persönlich hin und holt sie auch wieder ab. Dabei legt sie mit dem Auto insgesamt mehr als 17 000 km zurück, stets auf eigene Kosten. Was sie dafür bekommt, ist nicht nur das fertige Kunstwerk. Es ist ein ganzer Strauß an Erlebnissen. Die Anstifterin wird zum Essen eingeladen und kann zuweilen sogar im Haus der Gastgeber übernachten. In einem Fall harmoniert es so gut, dass sie gleich mehrere Tage bleibt.

 

Das zwölfte Bild (ertrinkende Frau) ist von Christine Storey-Lange, einer Engländerin, die schon lange mit ihrer Familie in Augsburg lebt. Auch sie richtet sich gerade ein neues Atelier in ihrem Haus ein, als Christa aus dem hohen Norden kommt. Überall riecht es noch nach „Maler“. Zeichnungen stapeln sich auf den Tischen, ein paar Werke stehen an den Wänden. Sie sieht das Leben als Weg nach dem Motto: „Auch Umwege sind Wege, die ans Ziel führen.“ Gut gefällt mir auch ihr Satz: „Pole bzw. Gegensätze können sich wundervoll berühren, einander Glanz verleihen und das Undenkbare möglich machen.“ Das Rollenbild betrachtet Christine als Anlass und Auftakt für einen Neuanfang. Dreimal übermalt sie ihr Werk.

 

Der Dialog inspiriert beide Seiten. Immer wieder drehen sich die Gespräche um die Frage, wie ein Kunstschaffender heute überleben kann. Man erfährt vom Anderen, was er denkt, wie er handelt, profitiert von den ausgetauschten Tipps. Was du sagst und wie du’s sagst, gefällt mir, und darauf kommt es an, dass man Menschen trifft, die herzlich sind, freundlich zugewandt. Es gibt zwei Dinge, die überhaupt keinen Fortschritt haben, nein, eigentlich sind es drei Dinge: die Liebe, die Freundschaft und die Kunst.

 

Wieviele WhatsApps hätte man für diese Erkenntnis schreiben müssen ? Und hätte es dennoch nicht erlebt !  Der digi-talisierte Andere als Bestandteil einer anonymen Online-Masse ist omnipräsent, aber flüchtig – potenziell immer da, aber niemals wirklich. Anders bei den Besuchen im Atelier: Die Beteiligten sind real präsent, Fragen werden direkt beantwortet, und nicht nur das. Hier und heute zur Eröffnung der Ausstellung sind wir am Start, leibhaftig und nicht in einer Videokonferenz.

Das dreizehnte Bild („Zerberus“ aus der Serie „Maschinengesichter“) ist verbunden mit dem Namen Volkmar Köhler aus Widdern bei Heilbronn. Zerberus ist der Höllenhund in der griechischen Mythologie, aber auch ein Computerprogramm, auf dem das Z-Netz beruht. Edelgard Köhler drückt Christa bald nach der Begrüßung ein Spargelmesser in die Hand. Erst danach zeigt Volkmar ihr seine Arbeiten und die Räume im Haus, eine frühere Kneipe mit Bundeskegelbahn.

Platz gibt es also genug, um Werke zu bestaunen, die mit Asche und anderen Materialien gestaltet sind, Darstellungen aus der Serie „Maschinengesichter“ oder ein Video  über den Begriff  „brennend“, eine Aktion und Ausstellung zum Flüchtlingsthema. Köhler arbeitet im Bereich Installationen und Objekte, Malerei, Performances für Text und Percussion, veranstaltet Lesungen, inszeniert Literatur mit Text und Musik und entwickelt Farbmenüs (Essen und Kunst). Am Abend stößt Michael Ackermann noch dazu, der Künstler des vierten Bildes aus Wettenberg, und gleich gibt es eine muntere Diskussion über die Kunst und die Welt da draußen.

Ohne die persönlichen Begegnungen wären skurrile und kuriose Ansichten und Einblicke rund um das Rollenbild nicht möglich, wie z.B. der Blick auf ein künstlerisch hergestelltes Rind im Essener Atelier: Das Anheben seines Schwanzes lässt den Betrachter ins Innere schauen auf eine künstlich beleuchtete, liebliche Landschaft. Eine vertauschte Welt oder künstlerische Freiheit, wie man so sagt, was auch für die Wahl der übrigen Themen gilt: Migration und Ausgrenzung sind dabei, ebenso Gender, Licht, Natur, Ressourcen, eigentlich alle Facetten der Gesellschaft und Kunst. Letztlich ist dies aber auch nur ein kleiner Teil der aktuellen Kunst. Im Kunstbetrieb zählt meist nur, was für eine Galerie verkaufsträchtig oder im Museum präsent ist. Wir haben es hier mit der Spitze eines Eisbergs zu tun. Christas Verdienst ist es, verborgene Schätze und ihre Schöpfer ans Licht der Öffentlichkeit geholt zu haben.

 

Manchmal regt das Rollenbild die Beteiligten zu einer anderen Arbeitsweise an, so wie bei dem Berliner Marian Kolenda, der  das 14. Bild (S/W ausgefranst) geschaffen hat. Das mit Kreiden, Kohle und Acryl gestaltete Werk weicht in seiner Größe und Ausführung von seinen bisherigen Bildern ab. Spontane Begeisterung zeigt Marian, als er zusagt, beim Projekt mitzumachen. Obwohl auch er gerade im Umbruch steckt, im großen Aufräumen und Wegwerfen. Sein Atelier liegt in einem alten Industriegebäude in Berlin-Treptow. In den Riverkasematten nebenan stärken sich Christa und Marian. Unterwegs passieren sie die Spree, sehen Graffiti an den Wänden und Toren der ehemaligen Fabriken. Urbanes Leben in seiner ganzen Vielfalt. Auch das fördert Umbrüche, Neuorientierungen.

 

Der Wunsch nach einem Beitrag für das Rollenbild trifft auf ganz unterschiedliche Lebenssituationen und Stimmungslagen. Menschen trennen sich, müssen sich verabschieden von Partnern, liebgewordenen Gewohnheiten, sind traurig, in freudiger Erwartung, ziehen um oder ein, leben allein oder in Gemeinschaft. Alles und noch mehr trifft Christa Donatius auf ihren Reisen an.

 

Kunst ist nicht vorhersehbar, aber immer wieder spannend. Daher sind die Besuche und die danach entstandenen Werke Momentaufnahmen des Alltags. Was eine Künstlerin formuliert, kann für alle gelten: „Das Malen ist für mich eine Bewegung durch Raum und Zeit, auch wenn sich die Bilder teilweise mit Zeitlosigkeit und raumungebundenen Wahrheiten beschäftigen.“

 

Vor dreieinhalb Jahren wird das fünfzehnte und letzte Bild (Strahlenkäfig mit 3 Personen) in das Gesamtwerk eingefügt. Das passiert in Hamburg, und die Künstlerin ist Kathrin Hoffmann, eine gebürtige Hessin. Christa fand sie im Internet. Studiert hat Kathrin neben Kunst Psychologie, bis 2007 gehörte sie der Künstlergruppe „Keine Frage“ an. Man lernt sich kennen nicht in Hamburg, sondern bei der Eröffnung von Kathrins Ausstellung in Hooksiel an der Nordsee. Anschließend wird beim Essen über die Kunst geredet, also auch über das Rollenbild. Kathrin lebt in der Eiffestraße in Hamburg in einer WG, mit Hinterhof an einem Fleet, mit Anlegestelle und Kanus. Dieses Ambiente ist bekannt für rauschende Feste, Ausstellungen und lauter verrückte Sachen.

 

2017 wird das Rollenbild fertig. Das anfangs „undenkbare“ Projekt - nach acht Jahren ist es vollendet. Es hat Christa Donatius ungemein bereichert, wie sie sagt. Sie hat viel Herzblut da rein gesteckt, dafür aber ein tolles Dokument für die Nachwelt bekommen, das Bestand hat, die digitalen Medien vermutlich überdauern wird. Geboren aus der Gesellschaft und für sie gemacht – ein Spiegel der Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts. Ganz nebenbei hat die Initiatorin eine völlig neue Vernetzung für sich geschaffen, neue Wegbegleiter, Freunde gefunden, und davon kann man nie genug haben.

 

Das Fazit könnte lauten: Jedes Bild spielt eine Rolle, hat seinen eigenen Charakter, erzählt eine eigene Geschichte. Bereichert fühlen sich zweifellos auch die beteiligten Akteure. Mein persönliches Fazit lautet: Wir haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, ab und zu mal offline zu sein, einfach mal Facebook-und Internet-Urlaub zu nehmen, denn nur so schärfen wir den Blick für die Realität, für das wahre Leben, für die Kunst. Ohne diesen Blick wäre das einmalige Dokument zeitgenössischer Kunstgeschichte, das wir hier sehen, nicht entstanden. Und was ich auch noch toll finde: Hier haben 15 Kunstschaffende einmal das Konkurrenzdenken überwunden, das sonst ja Freiberuflern leicht anhaftet.

 

Ich wünsche dieser Ausstellung die Anerkennung und Aufmerksamkeit, die sie verdient, auch in der virtuellen Realität, in den sozialen Medien – wir brauchen sie ja - aber bitte nicht nur dort. Ich wünsche der Ausstellung eine unübersehbar große Zahl von Besuchern und persönlichen Begegnungen, Menschen, die von der Rolle sind, wenn sie das hier sehen. Und last not least wünsche ich diesem Kunstprojekt weitere Ausstellungsorte, denn das Rollenbild von Christa Donatius erinnert uns daran, dass es bei der Kunst um etwas geht, um etwas Substanzielles, und das bleibt. Kunst ist immer !

Vielen Dank !

 

Christa Donatius & Michael Jalowczarz     c.donatius@t-online.de     donjalo@t-online.de     www.donatius-jalowczarz.de